Varizellen

Auslöser der Windpocken ist das Varicella-Zoster-Virus (VZV). Es handelt sich dabei um ein DNA-Virus aus der Gruppe der alpha-Herpesviren. Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion aus dem Nasopharynx (Frühphase) bzw. Bläscheninhalt (Exanthemstadium) von Mensch zu Mensch. Die Kontagiosität des VZV ist sehr hoch. Das Virus persistiert lebenslang in den sensorischen Spinalganglien. Eine spätere endogene Reaktivierung des Virus führt zum Bild des Herpes Zoster (Gürtelrose).

12. Juli 2024
Lesedauer: 3 Min.
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Gefährdete Gruppen

Komplikationen der Varizelleninfektion treten häufiger auf:

  • Mit zunehmendem Lebensalter
  • Bei Patienten mit angeborener oder erworbener Immundefizienz (insbesondere T-Zell-Defekte).


Lebensbedrohlich sind Varizellen:

  • Für Neugeborene von Müttern, die 5 Tage vor bis 2 Tage nach der Geburt an Varizellen erkranken (transplazentare Übertragung der Viren bei fehlender spezifischer Immunität)
  • Postnatal erworben bei Frühgeborenen, deren Mütter keine Varizellenimmunität besitzen (fehlender Nestschutz)
  • Postnatal erworben bei Frühgeborenen <28. Schwangerschaftswoche, unabhängig von der mütterlichen VZV-Immunität (ineffektiver transplazentarer Nestschutz)
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Symptome Schnellcheck
  • Zahlreiche rote Flecken mit flüssigkeitsgefüllten, juckenden Bläschen auf der gesamten Haut einschließlich des behaarten Kopfes sowie auf den Schleimhäuten
  • Fieber
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Gefahren für Patienten

Folgende Komplikationen können unter anderem auftreten:

  • Bakterielle Sekundärinfektion der Bläschen (meist durch Staphylococcus aureus oder beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A verursacht)
  • Thrombozytopenie
  • Cerebellitis
  • Pneumonie
  • Enzephalitis
  • Invasive Streptokokken-Infektionen (Sepsis, nekrotisierende Fasziitis, Arthritiden)
  • In allen Altersstufen Hirninfarkte während bzw. Wochen bis Monate nach der Primärinfektion auf dem Boden einer VZV bedingten zerebralen Arteriitis
  • Primäre VZV-Infektion in der Frühschwangerschaft (8.-20. Schwangerschaftswoche) kann zu embryonalen Fehlbildungen führen (Risiko: 1-2 %)
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Ätiologie, Pathogenese und Epidemiologie

Nach Aufnahme des Virus über die Konjunktiven bzw. den oberen Respirationstrakt findet zunächst eine Virusreplikation in den lokalen Lymphknoten statt, gefolgt von einer ersten, kurz dauernden Virämie. Nach Virusaussaat findet erneut eine Replikation in Leber, Milz und möglicherweise anderen Organen statt.

Um den 10. Tag nach Infektion beginnt die Phase der 2. Virämie mit erneuter Aussaat im Nasopharynx, gleichzeitig beginnt die Kontagiosität des Patienten. Wenige Tage später folgt ein Exanthem mit vesikulären Effloreszenzen, welches vermehrungsfähige, übertragbare VZV enthält.

Das VZV ist weltweit verbreitet. Bei mütterlicher Immunität besteht für Säuglinge ein Nestschutz, der kontinuierlich im Laufe der ersten Lebensmonate abnimmt. Der Krankheitsgipfel liegt im Kleinkindes- und frühen Schulalter, verschiebt sich aber seit Einführung der generellen Impfung im Kindesalter in Deutschland im Jahr 2004 zunehmend in höhere Altersstufen.

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Krankheitsbild

Nach einer Inkubationszeit von 7-21 (meist 14) Tagen beginnt die Krankheit mit zahlreichen roten Flecken, in deren Zentrum sich binnen weniger Stunden flüssigkeitsgefüllte, juckende Bläschen bilden.

Gleichzeitig besteht meist Fieber. Einige Tage lang bilden sich schubartig neue Bläschen auf der gesamten Haut einschließlich des behaarten Kopfes sowie auf den Schleimhäuten (Mund, Pharynx, Genitale). Jedes Bläschen besteht etwa 3-4 Tage, ehe es eintrocknet, verkrustet und meistens ohne Narben abheilt.

Die Kontagiösität endet bei immunkompetenten Patienten 5-7 Tage nach Exanthembeginn, wenn alle Bläschen eingetrocknet sind. Bei Immunsupprimierten kann die Virusausscheidung über Wochen andauern.

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Diagnose

Die Diagnose der primären VZV-Infektion (Windpocken) wie auch der reaktivierten Infektion (Herpes Zoster) lässt sich in den meisten Fällen aufgrund der charakteristischen klinischen Symptomatik stellen. In Zweifelsfällen helfen IgM-Antikörperbestimmung (primäre Infektion) und/oder Virusnachweis aus Bläscheninhalt durch Anzucht oder PCR (primäre und reaktivierte Infektion) weiter.

Seit der Revision des Infektionsschutzgesetzes 2013 sind der Krankheitsverdacht, die Erkrankung sowie der Tod an Varizellen (nicht hingegen Herpes Zoster!) namentlich meldepflichtig, ebenso der direkte oder indirekte Nachweis von VZV, sofern der Nachweis auf eine akute Infektion hinweist. Beim Auftreten eines Krankheitsfalles oder Verdachtsfalles in einer Gemeinschaftseinrichtung (z.B. Kindergarten, Schule) ist von der Leitung das zuständige Gesundheitsamt zu benachrichtigen und der Besuch von Gemeinschaftseinrichtungen bis zum Ende der Kontagiosität untersagt (§34).

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Therapie

Unkomplizierte Varizellen werden lediglich symptomatisch (juckreizstillende lokal anwendbare Tinkturen, Antihistaminika, fiebersenkende Maßnahmen) behandelt. Besonders gefährdete Personen sollten möglichst früh nach Exanthemausbruch Aciclovir i.v. erhalten.

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Prävention

Aciclovir bzw. Valaciclovir bei nichtimmunen Personen nach Kontakt zu VZV, wenn der Ausbruch der Krankheit verhindert oder der Verlauf mitigiert werden soll. Dazu muss aber der Expositionszeitpunkt bekannt sein, da die Chemoprophylaxe zum Zeitpunkt der zweiten Virämie (ab 7.-9. Tag nach Exposition) beginnen muss und in einer Dosierung von 80 mg/kgKG/d (Aciclovir) über 7 Tage fortgeführt wird. Kann off-label Gebrauch darstellen!

Varicella-Zoster-Immunglobulin kann bei einmaliger Gabe möglichst früh (binnen 3 Tagen bis spätestens 10 Tage) nach Exposition den Ausbruch der Krankheit verhindern oder aber zumindest den Verlauf der Krankheit mitigieren. Das VZV-Immunglobulin ist indiziert zur postexpositionellen Prophylaxe für:

  • Ungeimpfte Schwangere ohne Varizellenanamnese bzw. VZV-IgG-negativer Status
  • Immunsupprimierte Personen mit unbekannter oder fehlender Varizellenimmunität
  • Neugeborene, deren Mütter 5 Tage vor bis 2 Tage nach Geburt an Varizellen erkranken
  • Frühgeborene ab der 28. Schwangerschaftswoche von Müttern mit fehlender Varizellenimmunität, nach Exposition in der Neonatalperiode
  • Frühgeborene <28. Schwangerschaftswoche unabhängig (!) von der mütterlichen VZV-Immunität, nach Exposition in der Neonatalperiode


Bei ungeimpften Personen mit negativer Varizellen-Anamnese und Kontakt zu Risikopersonen empfiehlt die STIKO eine postexpositionelle Impfung innerhalb von 5 Tagen nach Exposition oder innerhalb von 3 Tagen nach Beginn des Exanthems beim Indexfall. Unabhängig davon sollte der Kontakt zu Risikopersonen unbedingt vermieden werden.

Referenzen

1. Heininger: Impfratgeber – Impfempfehlungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene/ 11. Auflage – Bremen: UNI-MED, 2022; Seite 108ff
2. Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut 2023, Epid Bull 4/2023

Grundlagen Erreger