Schwere Hepatitis unklarer Ätiologie bei Kindern
Mögliche Ursachen und Informationen zur Situation in Deutschland.
Zeitlicher Verlauf
Im November 2021 wurde aus Alabama, USA, eine Häufung unklarer, schwerer Hepatitiden bei initial fünf, von Oktober 2021 bis Februar 2022 dann insgesamt neun Kindern an die US Seuchenschutzbehörde CDC gemeldet1. Zwei der Kinder benötigten ein Transplantat. Die Fälle waren negativ für Hepatitis A-E, aber alle im Blut positiv für Adenovirus DNA, was auf eine aktive Infektion hinweist. Adenoviren sind nicht als Auslöser einer Hepatitis bei Immungesunden bekannt. Fünf der Fälle wurden als Adenovirus Typ F41 typisiert1, ein Virus das normalerweise mit Gastroenteritis bei Kindern assoziiert ist2.
Abbildung 1. Gehäufte Meldungen über Hepatitiden unklarer Ätiologie weltweit.
Am 31. März 2022 wurde Public Health Scotland über eine Häufung unklarer Hepatitiden bei Kindern im Alter von 3-5 Jahren in Kenntnis gesetzt3, am 5. April wurde die WHO informiert, bis zum 8. April wurden weitere 74 Fälle aus dem Vereinigten Königreich und Nordirland gemeldet4. Bis zum 8. Juli lagen der WHO weltweit Meldungen über mindestens 1010 ähnliche Fälle aus 35 Ländern vor (Stand 8. Juli)5, für Europa (inkl. GB, Stand 29. September) 555 Fälle, davon 76% jünger als sechs Jahre, mit einem Gipfel im vierten Lebensjahr (Abb. 2)6.
Abbildung 2. Verteilung der unklaren Hepatitisfälle in Europa nach Lebensalter und Land bis einschließlich 29. September 2022. Aus Joint ECDC-WHO Regional Office for Europe Hepatitis of Unknown Origin in Children Surveillance Bulletin (europa.eu)6.
Die Falldefinition besteht aus erhöhten Transaminasen (>500 U/ml) sowie einem negativem Befund für Hepatitis A-E und Alter unter 17 Jahren sowie Kontaktpersonen jeden Alters, falls diese die gleiche Symptomatik aufweisen sollten5,6. Insgesamt lagen der WHO bis zum 8. Juli Berichte zu insgesamt 46 Lebertransplantationen und 22 Todesfällen im Zusammenhang mit der Erkrankung vor5. Für Europa wurde die Mehrzahl der bis zum 29. September an ECDC und WHO gemeldeten Fälle in der ersten Jahreshälfte 2022 beobachtet, und es wurden bisher sechs Todesfälle und 23 Lebertransplantationen erfasst6. In der zweiten Jahreshälfte wurden bisher deutlich weniger Fälle gemeldet (Abb. 3).
Abbildung 3. Fälle unklarer Hepatitits bei Kindern unter 17 Jahren in Europa nach Kalenderwoche und Land (bis einschließlich 29. September 2022). Aus Joint ECDC-WHO Regional Office for Europe Hepatitis of Unknown Origin in Children Surveillance Bulletin (europa.eu)6.
Mögliche Ursachen
Da Adenovirus Typ F41 zwar in den meisten Fällen nachgewiesen wurde, dieses Virus aber typischerweise eben nicht mit Hepatitis assoziiert ist, wurden in England7 und Schottland8 zwei umfangreiche Studien zur Identifikation weiterer Pathogene durchgeführt, die bisher als Preprints vorliegen und in ein umfangreiches Technical Briefing der UK Health Security Agency (UKHSA) eingeflossen sind9. Zudem wurden die Fälle bezüglich ihrer HLA Genotypen untersucht, um einer möglichen Immunpathogenese mit genetischem Hintergrund nachzugehen.
Diese Untersuchungen brachten einige interessante Befunde zu Tage: So wurde zum einen bei den betroffenen Kindern eine deutliche Überrepräsentation eines bestimmten HLA-Allels (DRB1*04:01) festgestellt7–9. Zum anderen wurde in fast allen Fällen im Blut und insbesondere in Proben aus den explantierten Lebern Adeno-assoziiertes Virus 2 (AAV2) mit hoher Genomkopienzahl gefunden. AAV2 kam verglichen mit verschiedenen Kontrollen nicht nur signifikant häufiger, sondern auch in viel höherer Kopienzahl vor7,8. Für AAV2 ist eigentlich keine kausale Assoziation mit akuten Erkrankungen bekannt, auch wenn eine Rolle bei der Entstehung des hepatozellulären Karzinoms diskutiert wird10. Adenovirale-DNA sowie DNA des humanen Herpesvirus 6 (HHV-6) wurde ebenfalls vermehrt nachgewiesen. Dies ist insofern bemerkenswert, als dass AAV2 ein sogenanntes Dependovirus ist und nur in Anwesenheit von Helferviren wie z.B. Adenoviren oder Herpesviren effizient replizieren kann11,12. Ein Zusammenhang mit Toxinen oder einer SARS-CoV-2 Infektion wurde – abseits der zeitlichen Korrelation – bisher nicht festgestellt9. Der SARS-CoV-2 Infektionsstatus als auch der Serostatus der Patienten unterschied sich in keiner Studie nennenswert von dem verschiedener Kontrollpopulationen oder der Allgemeinbevölkerung im gleichen Zeitraum9,13. Ein Zusammenhang mit der COVID-Impfung kann kategorisch ausgeschlossen werden, da die überwiegende Zahl der Patienten jünger als fünf Jahre und ungeimpft war.
Die UKHSA geht derzeit von einem mehrstufigen Prozess unter maßgeblicher Beteiligung von Adenovirus F41 aus. Die Autoren der beiden zitierten Studien aus England7 und Schottland8 favorisieren eine Koinfektion mit AAV2 und einem Adenovirus sowie evtl. HHV-6 im Zusammenspiel mit einer genetischen Disposition zur Immunpathogenese als mögliche Ursache. Beide Teams postulieren einen Zusammenhang mit der Pandemie, durch die die normale Zirkulation von Adenovirus F41 und möglicherweise auch AAV2 unterbrochen wurde, was nun gehäuft zu Koinfektionen mit diesen beiden Viren bei bisher immunnaiven Kindern geführt hat. Aufgrund der bisher geringen Zahl an Fällen, die ausführlich auf diese Erreger untersucht wurden, steht eine klare Bestätigung der Assoziation mit AAV2 für die Mehrzahl der Fälle noch aus.
Situation in Deutschland
Erstaunlicher- und erfreulicherweise wurde in Deutschland laut Robert-Koch-Institut und Fachgesellschaften bisher keine Häufung unklarer Hepatitiden bei Kindern beobachtet14. Das RKI weist ausdrücklich darauf hin, dass Non-A-E Hepatitisfälle bei Kindern meldepflichtig sind, und fordert zu erhöhter Wachsamkeit auf. Weitere Informationen finden sie auf der Seite des RKI zu dem Thema (RKI - Ausbrüche von Infektionskrankheiten - Fälle akuter Hepatitis unklarer Ätiologie (non A bis E) bei Kindern).
Referenzen
1. Baker, J. M. Acute Hepatitis and Adenovirus Infection Among Children — Alabama, October 2021–February 2022. MMWR Morb. Mortal. Wkly. Rep. 71, (2022).
2. Desselberger, U. & Gray, J. Viral gastroenteritis. Medicine (Baltimore) 41, 700–704 (2013).
3. Marsh, K. et al. Investigation into cases of hepatitis of unknown aetiology among young children, Scotland, 1 January 2022 to 12 April 2022. Eurosurveillance 27, 2200318 (2022).
4. Acute hepatitis of unknown aetiology – the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland. https://www.who.int/emergencies/disease-outbreak-news/item/2022-DON368.
5. Severe acute hepatitis of unknown aetiology in children - Multi-country. https://www.who.int/emergencies/disease-outbreak-news/item/2022-DON400.
6. Joint ECDC-WHO Regional Office for Europe Hepatitis of Unknown Origin in Children Surveillance Bulletin. https://cdn.ecdc.europa.eu/novhep-surveillance/.
7. Morfopoulou, S. et al. GENOMIC INVESTIGATIONS OF ACUTE HEPATITIS OF UNKNOWN AETIOLOGY IN CHILDREN. 48.
8. Ho, A. et al. Adeno-associated virus 2 infection in children with non-A-E hepatitis. http://medrxiv.org/lookup/doi/10.1101/2022.07.19.22277425 (2022) doi:10.1101/2022.07.19.22277425.
9. Investigation into acute hepatitis of unknown aetiology in children in England: technical briefing 4. 56.
10. Russell, D. W. & Grompe, M. Adeno-associated virus finds its disease. Nat. Genet. 47, 1104–1105 (2015).
11. Weitzman, M. D. & Linden, R. M. Adeno-Associated Virus Biology. in Adeno-Associated Virus: Methods and Protocols (eds. Snyder, R. O. & Moullier, P.) 1–23 (Humana Press, 2011). doi:10.1007/978-1-61779-370-7_1.
12. Thomson, B. J., Weindler, F. W., Gray, D., Schwaab, V. & Heilbronn, R. Human herpesvirus 6 (HHV-6) is a helper virus for adeno-associated virus type 2 (AAV-2) and the AAV-2 rep gene homologue in HHV-6 can mediate AAV-2 DNA replication and regulate gene expression. Virology 204, 304–311 (1994).
13. Technical Report: Acute Hepatitis of Unknown Cause | CDC. https://www.cdc.gov/ncird/investigation/hepatitis-unknown-cause/technical-report.html (2022).
14. RKI - Ausbrüche von Infektionskrankheiten - Fälle akuter Hepatitis unklarer Ätiologie (non A bis E) bei Kindern. https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Ausbrueche/aktuell/Hepatitis-unklarer-Aetiologie.html.