RSV – Biologie, Epidemiologie und Pathologie

Das Respiratorische Synzytiale Virus (RSV) ist eine häufige Ursache von Atemwegserkrankungen in Deutschland. Das Virus infiziert die Zilien-tragenden Epithelzellen der Schleimhäute im Atemwegstrakt, wodurch diese Zellen zu sogenannten Synzytien verschmelzen. Eine Eigenschaft, welche zur Namensgebung beigetragen hat.

11. Juli 2024
Lesedauer: 3 Min.
Respiratory Syncytial Virus (RSV) 3D-Illustration
Abbildung 1: Schematische Darstellung des RS-Virus und seiner beiden wichtigsten Oberflächenproteine F und G

Es handelt es sich um ein einzelsträngiges RNA-Virus mit zwei relevanten Glykoproteinen: das Adhäsions-(G-)Protein ist für die Anlagerung an die Zielzelle verantwortlich; das Fusions-(F-)Protein für die Fusion des Virus mit der Zelle1. Es existieren zwei Gruppen von RSV, die durch die Antigenstruktur ihres G-Proteins in RSV A und B unterschieden werden.

Virusstämme beider Gruppen zirkulieren gleichzeitig, RSV A dominiert jedoch in den meisten Jahren. Anders als das G-Protein ist das F-Protein hochkonserviert und weist nur geringe genetische Differenzen in der Genstruktur zwischen RSV A und B auf. Dementsprechend ist auch das F-Protein ein wichtigstes Ziel für neutralisierende Antikörper, um eine Infektion erfolgreich zu kontrollieren2.

Diagramm RSV Infektionsgeschehen in Deutschland von September 2019

Abbildung 2: RSV-Infektionsgeschehen in der nördlichen Hemisphäre. RSV tritt saisonal in den Wintermonaten auf3.

Die Infektionswelle in Deutschland und auf der nördlichen Hemisphäre verläuft in der Regel zwischen November und April. Auf der südlichen Hemisphäre ist es genau umgekehrt. Hier gibt es die meisten Infektionen zwischen April bis Oktober4

Es ist davon auszugehen, dass sich 50-70% der Kinder während ihres ersten Lebensjahres mit RSV infizieren. Bis zum 2. Lebensjahr haben faktisch alle Kinder eine Infektion mit RSV durchgemacht. Da die Infektion keine langfristige Immunität hinterlässt, treten RSV-Reinfektionen ein Leben lang auf. Insbesondere bei Erwachsenen, welche regelmäßigen Kontakt zu Kleinkindern haben5

Wie bei Atemwegserregern üblich erfolgt auch hier die Übertragung über die klassische Tröpfchen- und Schmierinfektion. Die Viren übertragen sich durch Aerosole, welche beim Niesen oder Husten entstehen sowie über kontaminierte Hände und Oberflächen. Infizierte Personen können schon einen Tag nach der Infektion und noch vor Beginn der Symptome infektiös sein und das RS-Virus übertragen. Insbesondere Erwachsene spielen hier als asymptomatische Überträger eine wichtige Rolle. Die ersten Symptome treten in der Regel nach 2 bis 8 Tagen auf und reichen von Husten, Fieber und Symptomen einer Erkrankung der oberen Atemwege bis hin zu den Symptomen einer Erkrankung der unteren Atemwege.

Besonders gefährdet sind Menschen mit einem eingeschränkten Immunsystem. Das betrifft auf der einen Seite Früh- und Neugeborene sowie Säuglinge und Kleinkinder mit einem noch unreifen Immunsystem – auf der anderen Seite Menschen in einem höheren Lebensalter (Immunseneszenz) oder mit Grunderkrankungen. Zu den Risikofaktoren bei Erwachsenen für schwere Krankheitsverläufe durch eine RSV-Infektion gehören: Ein höheres Lebensalter jenseits des siebzigstens Lebensjahres, Komorbiditäten wie z.B. chronische Herz- und Lungenerkrankungen und ein geschwächtes Immunsystem6. Diese Risikofaktoren führen insbesondere bei älteren Menschen zu einer höheren Hospitalisierungsrate bei Infektion mit RSV im Vergleich zu jüngeren Altersgruppen. Aktuelle Arbeiten zeigen, dass eine Infektion mit RSV bei älteren Patienten zu einer längeren Hospitalisierung führen kann als eine Infektion mit Influenza A oder B8. Insbesondere Patienten mit Komorbiditäten wie z.B. Herzerkrankungen, Diabetes Typ 2, COPD, Immunsuppression oder Asthma werden signifikant häufiger hospitalisiert als eine altersentsprechende gesunde Personengruppen8-10.

Sowohl bei Kleinkindern als auch bei dem eben genannten Personenkreis an Erwachsenen kann die RSV-Infektion zu weiterführenden Komplikationen führen. Zu den häufigsten Komplikationen zählen hier die Pneumonie, die Bronchiolitis und Exazerbationen von bestehenden Grunderkrankungen. Bei der in Abbildung 3 gezeigten Bronchiolitis, welche vor allem bei Früh,- Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern auftritt, kommt es aufgrund der viralen Infektion zu einem Absterben und zu einer Freisetzung von Epithelzellen im Bronchiolus. Damit verbunden ist eine gestörte Zilien-Beweglichkeit und erhöhte Schleimproduktion. Darauf folgen können eine Obstruktion und Überblähung der Alveolen. Wird die eingeschlossene Luft resorbiert, kommt es zum Kollaps der Alveolen und zu lokalen Atelektasen2.

Durch die Vermehrung der RS-Viren in den apikalen Flimmerepithelzellen wird das angeborene Immunsystem aktiviert. Am Infektionsort angelockt werden zunächst Neutrophile und Eosinophile. Immunzellen, welche bei einer zu starken Entzündungsreaktion die Erkrankung und die Prognose des Patienten verschlechtern können. Andere immunmodulierende Prozesse wie CD8-T-Zellen und die Bildung von IFN-gamma haben hingegen eine positive Prognose auf den Krankheitsverlauf7

Darstellung Bronchiolitis durch eine RSV Infektion

Abbildung 3: Bronchiolitis durch eine RSV Infektion, (Illustration: hegasy.de)

Aktuell ist keine spezifische Therapie verfügbar, um eine akute RSV-Infektion positiv zu beeinflussen. Lediglich eine Behandlung der Symptome ist möglich. Die STIKO empfiehlt seit Juli 2024 den monoklonalen Antikörper Nirsevimab zur RSV-Prophylaxe (passive Immunisierung) für alle Neugeborenen und Säuglinge als Einmaldosis, um diese zur Herbst- und Wintersaison gegen RSV-Infektionen zu schützen11. Säuglinge, die zwischen April und September geboren sind, sollen den monoklonalen AK möglichst im Herbst vor Beginn ihrer 1. RSV-Saison erhalten. Neugeborene, die während der RSV-Saison werden, sollen die passive Immunisierung möglichst rasch nach der Geburt bekommen11.

Fazit

Eine Infektion mit RSV bleibt weiterhin für ältere Personen, Menschen mit Immunschwäche, und besonders Frühgeborene, Säuglinge und Kleinkinder eine nicht zu unterschätzende Gefahr für schwere Krankheitsverläufe.

Referenzen

1. Robert-Koch-Institut. RKI-Ratgeber RSV-Infektionen. Epidemiologische Bulletin. 2024;1.

2. Battles MB MJ. Respiratory syncytial virus entry and how to block it. Nat Rev Microbiol. 2019;17(4):233-245.

3. Bloom-Feshbach K AW, Charu V, Tamerius J, Simonsen L, Miller MA, Viboud C. Latitudinal variations in seasonal activity of influenza and respiratory syncytial virus (RSV): a global comparative review. PloS one. 2013;8:e54445.

4. Griffiths C, Drews SJ, Marchant DJ. Respiratory Syncytial Virus: Infection, Detection, and New Options for Prevention and Treatment. Clin Microbiol Rev. Jan 2017;30(1):277-319.

5. Nair H, Nokes JD, Gessner MD, Dherani M, Madhi SA, Sinleton R, et al.,. Global burden of acute lower respiratory infections due to respiratory syncytial virus in young children: a systematic review and meta-analysis. The Lancet. 2010;375:1545-1555.

6. Belongia EA, King JP, Kieke BA, et al. Clinical Features, Severity, and Incidence of RSV Illness During 12 Consecutive Seasons in a Community Cohort of Adults ≥60 Years Old. Open Forum Infectious Diseases. 2018;5(12).

7. Russell CD US, Walton M, Schwarze J. The Human Immune Response to Respiratory Syncytial Virus Infection. Clin Mircobiol Rev. 2017;30(2):481-502.

8. Ambrosch et al. Focusing on severe infections with the respiratory syncytial virus (RSV) in adults: Risk factors, symptomatology and clinical course compared to influenza A / B and the original SARS-CoV-2 strain. J Clin Vir. 2023.

9. Kiefer A PS, Kabesch M, Ambrosch A. Comparative analysis of RSV-related hospitalisations in children and adults over a 7 year-period before, during and after the COVID-19 pandemic. J Clin Virol. 2023;166.

10. Hönemann M TS, Bergs S, Berthold , Propach C, Siekmeyer M, Frille A , Wallborn T, Maier M, Pietsch C. In-Depth Analysis of the Re-Emergence of Respiratory Syncytial Virus at a Tertiary Care Hospital in Germany in the Summer of 2021 after the Alleviation of Non-Pharmaceutical Interventions Due to the SARS-CoV-2 Pandemic. Viruses. 2023;15:877.

11. Institut RK. STIKO: Prophylaxe von RSV-Erkrankungen mit Nirsevimab bei Neugeborenen und Säuglingen. Epidemiologische Bulletin. 2024;26:3-29.

Grundlagen Erreger